Hans Wolfgang Euler
Rechtsanwalt
Frankfurt
Kammergericht
- 1. Strafsenat -
Elsholzstraße 30-33
10781 Berlin
10. Juli 2002
In der Strafsache
Gegen
Rudolf Schindler u.a.
(1) 2 StE 11/00 (4/00)
gebe ich zu der Aussage der Zeugin Barbara W. folgende Erklärung
ab:
1.
Die Zeugin hat die Themen des verlesenen Beweisantrags bestätigt.
Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin sind
m.E. folgende Aussageteile von Bedeutung:
Nach Schilderung ihres Lebenslaufs hat sie den Ablauf des Tatgeschehens
vom 28. Oktober 1986 zunächst kursorisch geschildert, dabei
aber bereits Details genannt, die sich weder aus Akten noch aus
der Aussage Tarek Mouslis noch aus der Prozesserklärung Rudolf
Schindlers ergeben, beispielsweise, dass sie am Morgen des 28. Oktober
1986 Rudolf Schindler gegen 8.00 Uhr am Bahnhof Zehlendorf getroffen
hat und mit ihm zusammen von dort in die Nähe des Tatorts gefahren
wurde, welche Kleidungsstücke sie unter den von Zeugen wahrnehmbaren
trug, wann und wo sie die bei der Tat verwandte Schusswaffe von
Rudolf Schindler übernahm und wann und unter welchen Bedingungen
sie sie im Auto ihm zurückgab, mit dem sie beide zum Bahnhof
Zehlendorf gebracht wurden, wo sie nacheinander und getrennt voneinander
ausstiegen.
Nach der Tat hat es den Angaben der Zeugin zufolge am 28. Oktober
1986 gegen Mittag in einer Wohnung in der Oranienstraße ein
Treffen zwischen der Zeugin, Rudolf Schindler und Tarek Mousli gegeben,
der - so die Zeugin später - zum Tatzeitpunkt an seinem Arbeitsplatz
weilte, um den polizeilichen Funkverkehr abzuhören und sich
nicht etwa am Bahnhof Zehlendorf aufhielt, um dort den polizeilichen
Funk während der Tatausführung abzuhören. Auf Fragen
des Gerichts gab die Zeugin an, dass das auch keinen Sinn gemacht
hätte.
Bei dem Treffen habe Tarek Mousli berichtet, dass die Fahndung
eingeleitet, ansonsten aber alles in Ordnung sei. Er habe den Arm
um sie gelegt, sie beglückwünscht und gesagt "gut so".
Das Gericht befragte die Zeugin zu den Vorbereitungen der Tat.
Sie beschrieb das Auskundschaften des Wohnort von Herrn Hollenberg
und der Gewohnheiten der Anwohner gemeinsam mit Rudolf Schindler
und erwähnte für die weiteren Vorbereitungen ein bislang
unbekanntes Ereignis, nämlich, dass sie gemeinsam mit Rudolf
Schindler in der Normandie Schießübungen unternommen
hat, denn es sei ihr wichtig gewesen, dass nichts passierte, was
sie nicht wollte. Man habe ein Ferienhaus gemietet, wer das bezahlt
hat, erinnere sie nicht. Den genauen Ort der Schießübungen
konnte die Zeugin bei späteren Fragen nicht nennen. Offensichtlich
laut über einen größeren Ort in der Nähe der
Schießübungen nachdenkend sagte sie "La Rochelle", um
gleich danach zu erkennen, "nein, das ist ja nicht in der Normandie".
2.
Frau W. wurde zu weiteren Einzelheiten der Umstände des Anschlags
auf Herrn Hollenberg befragt.
Zur Person Tarek Mouslis gab sie an, sie habe ihn bei der gegen
Herrn Hollenberg gerichteten Aktion unter dem Decknamen Daniel kennen
gelernt.
Die auf Aufgaben Tarek Mouslis zurückgehende Beschuldigung,
sie sei damals Mitglied der "Roten Zora" und 1986 an einem Anschlag
beteiligt gewesen, wies sie ebenso zurück wie die Behauptung
Tarek Mouslis, sie sei einmal Mitglied in einer von ihm geführten
Karateschule gewesen.
Zu Rudolf Schindler gab sie an, sie habe ihn Ende 1985/Anfang 1986
im Zusammenhang des Anschlags auf Herrn Hollenberg unter dem Decknamen
Jon kennen gelernt. Erst später, als man ab 1988 gemeinsam
einen Literaturkreis ins Leben gerufen hatte, habe sie seinen bürgerlichen
Namen erfahren.
Sabine Eckle kenne sie seit Anfang der 70er Jahre. In Berlin habe
sie sie 1987 nach dem Anschlag auf Herrn Hollenberg unter dem Decknamen
Judith wiedergetroffen.
Als Motiv für den Anschlag auf Herrn Hollenberg gab die Zeugin
dessen Verantwortung für die damalige Flüchtlingspolitik
und den Verbrennungstod mehrerer Flüchtlinge an. Die eigentliche
Funktion von Herrn Hollenberg habe sie vergessen. Woher sie sein
Aussehen gekannt habe, wisse sie nicht mehr, sie meine aus der Zeitung.
Zu ihrem persönlichen Motiv, auf Herrn Hollenberg zu schießen,
sagte Frau W: "Das war eine Frage der Gleichberechtigung. Frauen
traut man so etwas nicht zu, aber ich traute es mir zu."
Ihr eigenes Aussehen im Jahre 1986 erinnerte die Zeugin auf Fragen
des Gerichts wie folgt: "ungefähr wie heute, vielleicht ein
etwas runderes Gesicht".
In anderem Zusammenhang auf das Aussehen von Sabine Eckle zum damaligen
Zeitpunkt angesprochen, sagte sie, sie beiden seien nicht zu verwechseln,
weil Sabine Eckle damals krank und mager gewesen sei.
Bereits bei der Eingangsbeschreibung der Tatbegehung hatte die
Zeugin davon berichtet, sie habe eine schwarze Perücke getragen.
Auf Befragen der Bundesanwaltschaft präzisierte sie, es habe
sich um eine Perücke mit echtem Haar gehandelt, die sie selbst
im Kaufhaus KaDeWe gekauft habe.
Zu dem Fahrzeug, mit dem Herrn Hollenberg am 28. Oktober 1986 sein
Grundstück verlassen wollte, gab Frau W. an, es habe sich möglicherweise
um einen Mercedes gehandelt. Das Fahrzeug sei jedenfalls groß
und hell gewesen, so weit sie sich erinnere.
Besonders intensiv wurde die Zeugin in verschiedenen Stadien ihrer
Vernehmung zu der Schusswaffe befragt, mit der sie - so ihre Aussage
- auf Herrn Hollenberg zwei Schüsse abgegeben hat.
Sie berichtete, es habe sich um eine schwarze Pistole mit Schalldämpfer
gehandelt, deren Fabrikat sie ebenso wenig kenne wie das Kaliber.
Es habe sich aber auf jeden Fall um eine kleinkalibrige Waffe gehandelt
entsprechend ihrem Ziel, Herrn Hollenberg keine unnötigen schwerwiegenden
Verletzungen zuzufügen.
Ob sie mit dieser Waffe bereits bei den Schießübungen
in der Normandie geschossen habe, erinnere sie nicht.
Als sie die Waffe von Rudolf Schindler erhalten habe, sei sie gesichert
gewesen. Sie habe die Waffe unmittelbar vor Schussabgabe an einem
Hebel entsichert und dann geschossen. Da sie gewusst habe, dass
Pistolen beim Abschuss nach oben ziehe, habe sie stark nach unten
gehalten, um das Ziel, Herrn Hollenberg in die Beine zu schießen,
erreichen zu können.
Danach habe sie nie wieder geschossen.
Auf den Moment der Schussabgabe angesprochen sagte die Zeugin,
sie habe auf das Gesicht von Herrn Hollenberg nicht geachtet. Sie
habe sich auch nicht vergewissert, ob sie getroffen habe, Sie selbst
habe nichts gesagt und erinnere auch nicht, dass Rudolf Schindler
etwas gesagt hätte. Sie seinen beide gleichzeitig losgelaufen,
sie selbst sei gerannt.
3.
Mir erscheint die Aussage der Zeugin W. glaubhaft, insbesondere
deshalb, weil sie authentisch wirkt.
Die Zeugin kannte zunächst alle wesentlichen Einzelheiten
der Tatvorbereitung und konnte für ihr eigenes Motiv, auf Herrn
Hollenberg zu schießen, eine zumindest "in sich" schlüssige
Erklärung darlegen.
Sie berichtete von bislang unbekannten Schießübungen
in der Normandie, wusste aber den Ort der Übungen nicht zu
benennen. Wer eine Aussage über Schießübungen zur
Vorbereitung einer Tat erfindet, hat sicherlich irgendeinen konkreten
Übungsplatz zur Präsentation parat.
Sie kannte die Funktion von Herrn Hollenberg innerhalb der Stadt
Berlin nicht mehr und wusste auch nicht mehr genau, woher ihr sein
Äußeres bekannt war, bevor es zur Tatausführung
kam.
Auch hier gilt: "Wer lügt, hat auf solche Fragen Antworten
bereit, selbst wenn sie falsch sind." Auf die Grundlagen forensischer
Aussagepsychologie müssen die Prozessbeteiligten wohl kaum
hingewiesen werden.
Abgesehen davon hätte die Zeugin sich der Prozesserklärung
Rudolf Schindlers - die sie nach eigenem Bekennen gelesen hat -
zumindest was die Funktion Herrn Hollenbergs angeht, bedienen können.
Sie ist in der Erklärung benannt.
Frau W. hat den tag des eigentlichen Tatgeschehens vom Zusammentreffen
mit Rudolf Schindler am Bahnhof Zehlendorf bis zu dem mittäglichen
Treffen in der Wohnung Oranienstraße ohne jegliche Schwierigkeit
flüssig geschildert und dabei auch hier bislang unbekannte
Details offenbart, die hier nicht noch einmal wiederholt werden
müssen, Details jedenfalls, die ein Lügner in eine von
ihm erwartete Geschichte, die ja schon kompliziert genug ist, nicht
einbauen würde.
Eine Einzelheit kannte sie nicht: sie wusste nicht, von welcher
Marke die von ihr verwandte Pistole war und welches Kaliber die
Waffe hatte.
Was die Marke der Waffe angeht, hätte die Zeugin wiederum
auf die Erklärung Rudolf Schindlers zugreifen können,
denn dort ist sie genannt. Die Frage des Kalibers hätte sie
sicher auch beantwortet bekommen, wenn sie denn zum Zwecke des Zustandekommens
einer Falschaussage konspiriert hätte.
Wiederum gilt m.E.: Wer eine derartige Aussage erfindet, "kennt"
die Antwort auf naheliegende Fragen, denn darauf wird er vorbereitet.
Das ist geradezu das Wesen der intelligenten, vorbereiteten Aussagelüge.
Frau W. wirkte aber geradezu unbekümmert, als sie die Frage
nach der Marke und dem Kaliber nicht beantworten konnte.
Gegen die Überlegung, wir hätten mit der Aussage von
Frau W. eine lügnerische Inszenierung erlebt, spricht aber
vor allen Dingen Folgendes:
Rudolf Schindler hat mir gegenüber zu einem Zeitpunkt die
Zeugin als diejenige bezeichnet, die auf Herrn Hollenberg geschossen
habe, als es das vorliegende Verfahren in der angeklagten Form noch
gar nicht gab. Darüber habe ich Prozessbeteiligte schon relativ
früh informiert, ohne die Identität der Zeugin preiszugeben.
Wäre die Aussage eine Erfindung, hätte man sich demzufolge
vorzustellen, dass Falschaussagen sozusagen auf Vorrat produziert
worden wären. Das könnte Sinn machen bei Aussagen über
ein erfundenes Alibi, das eine Anklage zu Fall bringen soll. Im
vorliegenden Fall ist eine derartige Vorstellung angesichts des
Inhalts der Aussage der Zeugin aber abwegig.
Im Übrigen: Bei der aktuellen Prozesslage von Rudolf Schindler
kann ich mir unter keinen Umständen vorstellen, dass eine jetzt
63-jährige Rentnerin eine Aussage über ein mehr als 15
Jahre zurückliegendes Ereignis erfindet, sich dabei bezichtigt,
auf einen Menschen geschossen zu haben, in Gefahr gerät, damit
nicht nur ihr jetziges bürgerliches Umfeld zu irritieren, sondern
zudem eine Verurteilung wegen versuchter Strafvereitlung, Falschaussage
und falscher Anschuldigungen zu riskieren.
Und schließlich: das Aussehen der Zeugin entspricht noch
jetzt in einem entscheidenden Punkt derjenigen Beschreibung, die
Herr Hollenberg 1986 für die weibliche Täterin gegeben
hat: "Volles, rundes Gesicht, Mondgesicht, große dunkle Augen,
breiter Hals".
Nach alledem, was wir wissen, entspricht diese Beschreibung nicht
annährend dem Aussehen, das Sabine Eckle 1986 gehabt haben
muss.
Euler, Rechtsanwalt
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